Texte
zu Ulrich Tarlatt
Sprengkopf im Spielraum
Pure Lust am bunten Tun, kaum theoretisch gehemmt, so scheint es, beglaubigt
als sinnliche Form der Welterkenntnis - doch lauern hinter der heiteren Staffage
dieser Blätter auch Tiefen, wirklich freier Humor hat eben ernste Gründe.
Ulrich Tarlatt wurde 1952 in Wansleben bei Halle geboren. Der Lebensweg zeigt
Brüche: Zuerst die solide technische Ausbildung, erst danach, ab 1975, folgt
die Kunst. Parallel zu ersten Arbeiten, vor allem Zeichnungen, Druckgraphik
und Collagen, steht ein Abendstudium der Malerei und Grafik in Halle. Der Wohnort
heißt Bernburg; irgendwo zwischen Halle und Magdeburg bietet solche Randlage
vor allem eines, viel Zeit zur Arbeit. Hier wächst ein Werk.
Letzteres gliedert sich grob in drei Bereiche: Malerei, Zeichnung und Collage
auf Papier oder Leinwand; Skulpturen und Installationen und den weiten Bereich
der Künstlerbücher und Buchobjekte. Das Kapital der Arbeit liegt auf Papier,
sowohl im Bereich Malerei/Zeichnung/Collage, wie auch bei den Büchern.
Müßte man das Werk prinzipiell technisch benennen, dann wäre es eine Collage.
Gespeist aus Grenzüberschreitungen, Mischformen von Zeichnung und Malerei, Collage
und Decollage: Aufbauen und Zerstören, im Einen ist das Andere bereits angelegt.
....Tarlatt besitzt die Fähigkeit ironischer Steigerung, ein eigentlich
ernster Fluchtpunkt seines Humors, der vor allem eines verhindert, eine neue
Variante expressionistischen Leidens. Das Kunst auch jenseits davon notwendiger
Freiraum sein kann, untersetzt schon die Biographie.
Dies erklärt auch die aufmerksame Sympathie gegenüber all jenen, die originär
außergewöhnlich, eine Welt in der Kunst sich neu erfinden. Hermetische Räume,
Lebensräume - oft ausgesteift mit dem Produkt der Verarbeitung der Trennung
von der Welt, mit einem auch Tarlatt eigenem Hang zur Organisation im Großen,
zum Gesamtkunstwerk. Tarlatt kokettiert mit diesen Möglichkeiten, sucht Inspiration,
die die Kunst des 20. Jahrhunderts oft schon aus diesem Bereich lieh, bleibt
jedoch in Raum und Zeit der Gegenwart.
Im Geviert der Zeichnungen entwickelt Tarlatt seinen bildnerischen Grundeinfall,
verknappt heißt dieser: Figur und Landschaft. Aufzeichnung und lyrischeAbstraktion,
Nähe und Weite - letzteres leiht die Struktur, eine zarte, seelisch gestimmte,
zumeist. Tarlatts künstlerischer Ansatz ist die Sammlung, keine klassische Kunstkammer
als geordnetes Nebeneinander der Dinge, sondern eine Spurensuche auf den Randstreifen
unserer Geschichte. Die geradlinige Beschreibung der Welt ist ersetzt von einem
Geflecht gesammelter Geschichten und führt, wie sollte es anders sein, zu einer
anderen Interpretation unserer Realität. Neben allen weiteren Bedeutungen heißt
Sammeln jedoch auch bewahren, anreichern, verbringen in einen Speicher - an
einen sicheren Ort also, wo besonderer Schutz gegeben ist. Eine traditionelle,
bewahrende Funktion, die zum Ursprung des Museums wurde und diesen Ort mit einer
besonderen Aura umgab. Ein Hort der Dinge und des Geistes - ein Mikrokosmos,
vom Anfang an.
Erik Stephan, aus dem Katalog: "Ulrich Tarlatt - hortus animae", Museum
Schloss Burgk, 1996